Streiten ist OK!

Schule und Elternhaus organisierte letzten Montag einen Workshop zum Thema „Geschwisterstreit“ - geleitet von der erfahrenen Erwachsenenbildnerin und 6-fachen Mutter Bernadette Amacker. Bereits zu Beginn des spannenden Vortrags stellte Amacker klar: „Es ist nicht das Ziel, Streit zu vermeiden! Im Gegenteil: Streiten ist nötig und wichtig für die soziale Entwicklung.“ Damit faires Streiten möglich ist, sollten allerdings zwei Punkte beachtet werden. Als erstes gilt es in einem ruhigen Moment Streit-Regeln festzulegen. Das könnte sein: „Menschen, Tiere und Mobiliar dürfen nicht zu Schaden kommen.“ Diese Regeln und allfällige Konsequenzen sollten wie alle Regeln im Familienalltag klar und deutlich formuliert sein und dem Alter entsprechen. Als zweites dürfen Erwachsene nie Partei ergreifen. Dabei ist es bereits wertend den Namen des einen Kindes zu rufen. Damit gibt man implizit diesem Kind die Schuld am Streit. Auch Lösungsvorschläge, um den Streit zu beenden, sind nie neutral. Idealerweise kommt Eltern im Streit nur die vermittelnde Rolle zu. Konkret heisst das: Alle Beteiligten fragen: Was willst du? Und dann die Kinder anregen, selbst eine Lösung zu suchen. Das stärkt ihre Selbstständigkeit und auch das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, einen Konflikt zu lösen. Allerdings braucht es für die Eltern ein Meer voller Geduld und Nerven, die Kinder selbst nach einer Lösung suchen zu lassen. Amacker stellt auch klar: Jungs und Mädchen streiten nicht gleich! Während Mädchen eher verbal austeilen, streiten Buben eher körperlich. Sind die Kräfte sehr ungleich verteilt zwischen den Kindern, dürfen die Eltern vom Stärkeren auch Rücksicht fordern – jedoch in einem ruhigen Moment unter vier Augen. Jedes Kind muss seinen Platz in der Familie suchen. Kommt ein Geschwister dazu, verändert sich die Familie. Die Aufmerksamkeit muss geteilt werden. Wichtig ist es für die Eltern, auch dem älteren Kind viel Zuwendung zu schenken und das Kind in seinen positiven Eigenschaften zu loben und zu stärken. Auf keinen Fall darf man die Kinder vergleichen und ihnen vorhalten, was das andere schon besser kann. Es ist auch falsches Wohlwollen, wenn man alle Kinder gleich behandeln möchte. Nicht alle Kinder sind gleich. Jedes hat seine Stärken und Schwächen und möchte so wie es ist akzeptiert werden. Dabei sollte man die Kinder in ihren Stärken stärken und nicht auf den Schwächen herumreiten. Schliesslich sind auch wir nicht perfekt.

Oft sind Streitereien und „schwieriges Verhalten“ im Grunde genommen ein Buhlen um die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern. Amacker schlägt vor, mit eifersüchtigen Kindern Fotos anzuschauen und ihnen zu zeigen, wie es war, als sie noch klein waren. Störendes Verhalten bei einem Kind ist oft ein Anzeichen für seelischen Schmerz. Dieser ist mindestens so schmerzhaft wie eine körperliche Wunde und sollte darum auch ernst genommen werden. Problematisch wird es, wenn ein Kind mehr Aufmerksamkeit bekommt, wenn es sich „schwierig“ benimmt, als wenn es ruhig und zufrieden ist. In so einem Fall wird es wahrscheinlich, dass das Kind das „schwierige“ Verhalten immer wieder zeigt, weil es damit die Zuwendung von den Eltern erreichen kann und im Mittelpunkt steht. Diese Spirale können Eltern durchbrechen, indem sie unerwünschtes Verhalten nur kurz kommentieren und dafür dem Kind in liebevollen Momenten Zeit und Aufmerksamkeit schenken.

Eltern sind auch im Umgang mit andern Menschen und beim Streiten die grossen Vorbilder. Wenn sie den Partner mit Vorwürfen eindecken und keinen Satz ausreden lassen, wird auch das Kind so streiten. Wer mit Schimpfworten um sich wirft, muss sich am nächsten Tag nicht über den erweiterten Wortschatz seines Kindes wundern. Allerdings gilt auch hier: Eltern sind ebenfalls nur Menschen. Fehler machen gehört zum Leben – genauso wie negative Emotionen. Oft möchten wir, dass unsere Kinder immer glücklich sind. Aber genauso wie wir manchmal wütend oder traurig sind, müssen wir den Kindern diese Gefühle zugestehen. Ein Kind darf enttäuscht sein, wütend oder traurig. Amacker rät, dass Kind in seiner Enttäuschung ernst zu nehmen. Nur so lernt es auch mit Niederlagen und schwierigen Situationen umzugehen und – ebenso wichtig – seine eigenen Gefühle wahrzunehmen. Dies bildet nämlich die Grundlage für das Einfühlungsvermögen in die Gefühle anderer.

In verrannten Situationen gilt es ein Stück zurückzutreten. Eltern sollten sich nicht schuldig fühlen und verzweifelt nach eine Lösung suchen. Besser ist es, in einem ruhigen Moment, den Kindern ihr Verhalten zu spiegeln und selber eine Lösung suchen lassen. Ein gutes Instrument dafür ist der Familienrat. Der Familienrat ist ein freiwilliges Treffen aller Familienmitglieder. Dort werden Themen besprochen, die unter der Woche Anlass für Streit boten oder auch das Programm vom Wochenende bestimmt und Ämtli verteilt. In diesem Rahmen können Ideen für Konflikte gesammelt und später ausprobiert werden. Dabei gilt generell: Neues funktioniert oft nicht gleich am ersten Tag.